Mobile Times Bangladesch: Grameenphone und die Kinderarbeit
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    Für Telenor spitzt sich die Situation in Bangladesch zu. Jahrelang gab es aus dem ehemaligen Ost-Pakistan von der gemeinsam mit der Bank des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus geführten Unternehmen nur Erfolge zu berichten:
    -- Für das zweite Quartal zeigte sich Jon Fredrik Baksaas, Präsident und CEO von Telenor, besonders begeistert von den Ergebnissen von Grameenphone (Bangladesch), wo man alleine im Berichtsquartal die Teilnehmerzahl um 30 % auf annähernd 8,5 Millionen steigern konnte, was einen Marktanteil von 63 % bedeutet. (MTW 0232 vom 2006-07-24)
    -- Grameenphone hat kürzlich zwei Basisstationen in Betrieb genommen, die eine hybride Stromversorgung haben, die es ihnen ermöglicht, drei Tage auf Sendung zu bleiben, auch wenn die normale Stromversorgung ausgefallen ist, keine Sonne scheint und der Notstromdiesel auch nicht funktioniert. Grameenphone hat kürzlich die 10.000ste Basisstation in Betrieb genommen, die ca. 98 % der Bevölkerung abdecken und sich an 5.700 Standorten befinden. (MTW 0293 vom 2008-01-07)
    -- Mit dem «CellBazaar» hat Grameenphone den Innovationspreis unter den «Telecom Asia Awards 2008» gewonnen. Der Innovationspreis wurde heuer erstmals vergeben. Der CellBazaar ermöglicht Verkäufern und Ankäufern von Gütern des täglichen Bedarfs wie Reis, Fisch, Motorrädern, Gebrauchtwaren usw. ihre Waren direkt mit dem Handy zu handeln. Damit kann plötzlich eine ländliche Bevölkerung, die bisher nicht einmal ein normales Telefon hatte, die Vorteile des Netzwerkens für ihr Geschäft nutzen. Der CellBazaar gewann auch den 3GSMA Global Mobile Award 2008 in der Kategorie «Best Use of Mobile for Social & Economic Development». Grameenphone hat auch 2007 den 3GSMA Global Mobile Award in der gleichen Kategorie für ihr 24 Stunden besetztes medizinisches Call Center «HealthLine» erhalten. (MTW 0306 vom 2008-04-14)
    -- Die verschiedenen Mobilfunkunternehmen der Telenor-Gruppe haben zusammen nun mehr als 150 Millionen Kunden. ... Besonders starkes Kundenwachstum habe es in Bangladesch und Pakistan gegeben. Nach eigenen Angaben ist Telenor damit der siebentgrösste Mobilfunkanbieter der Welt. (MTW 0316 vom 2008-06-23)
    -- Telenor hat im zweiten Quartal des Jahres einen um sieben Prozent höheren Umsatz als im Vergleichsquartal des Vorjahres erzielt. ... Das Wachstum fand hauptsächlich in Bangladesch, Pakistan und Thailand statt. (MTW 0319 vom 2008-08-05)
    Hinter den Erfolgsmeldungen gab es aber auch immer Schattenseiten.

Verletzung eines Monopols
    In Bangladesch ist die Terminierung eines internationalen Telefonanrufes ein lizenzierter Bereich, der derzeit nur vom Festnetzbetreiber BTTB angeboten werden darf. Nun wurden SIM-Karten von Grameenphone dazu benutzt, internationale Anrufe zu empfangen. Grameenphone wurde zwar weder vom Regulator BTRC (Bangladesh Telecommunications Regulatory Commission) noch anderen Behörden der aktiven Umgehung des Monopols beschuldigt, doch wirft man dem zum Telenor-Konzern gehörenden Unternehmen vor, nicht genügend gegen die Umgehung des Monopols vorgegangen zu sein. Grameenphone wird daher an die Regierung eine Kompensation für die entgangenen Umsätze zahlen müssen. (MTW 0284 vom 2007-10-15). Das entsprechende Verfahren endete erst 2008 (siehe MTW 320 vom 2008-08-19) mit einer Geldstrafe von 2,5 Milliarden Taka (ca. 30 Millionen Euro).

Erste Berichte über humanitäre Probleme
    Im Mai 2008 präsentierte Telenor selbst (MTW 0313 vom 2008-06-02) dann einen Bericht von «Det Norske Veritas», der offen legte, dass bei den Arbeitsbedingungen der Zulieferer von Grameenphone die Einhaltung des «Working Environment Act» in Bangladesch und des Telenor «Code of Conducts» nicht immer gegeben ist. Telenor rief eine Einheit auf Gruppenebene ins Leben, die sich um Gesundheit und Umweltschutz sowohl in den Unternehmen der Gruppe als auch bei den Zulieferanten kümmern soll. Auch formale Richtlinien wurden eingeführt, um sicherzustellen, dass die notwendigen Änderungen erkannt und durchgeführt werden.

Die Toten von Grameenphone
    Jetzt war aber die Katze aus dem Sack. Kurze Zeit später (MTW 0317 vom 2008-07-08) musste Telenor eine Reihe von tödlichen Unfällen, die bei Subunternehmen von Grameenphone vom Mai 2007 bis Mai 2008 passiert sind, bekannt geben:
    11. Mai 2007: Tod durch Sturz vom Dach
    6. Juli 2007: Tod durch Sturz in eine Wanne mit heisser Flüssigkeit
    11. Oktober 2007: Tod nach Ziehen eines Stromkabels
    21. November 2007: Todesursache Herzanfall während der Arbeit
    25. Februar 2008: Tödlicher Sturz von einem Baugerüst
    24. März 2008 Zwei Tote durch Berührung eines Stromkabels
    3. Mai 2008: Tod durch Sturz von einem Antennenmast
    27. Mai 2008 Tod durch einen Schlangenbiss
    Weitere zwei Personen starben durch Verkehrsunfälle an denen Fahrzeuge von Grameenphone beteiligt waren. Nun gibt es Kurse für Erste Hilfe, Hygiene usw. Das Verhalten im Verkehr soll trainiert werden und die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung verstärkt werden.
    Doch Telenor und Grameenphone kommen nicht mehr zur Ruhe. Jetzt tauchte der Vorwurf der Kinderarbeit auf.

Kinderarbeit für den Mobilfunk
    (Fornebu, Norwegen - 2008-09-04) Telenor meldet, dass man «kürzlich» darauf aufmerksam geworden sei, dass bei einem Subunternehmer eines Zulieferers von Grameenphone «unakzeptable» Arbeitsbedingungen herrschen. Nachdem die Sache längst in den Zeitungen Norwegens stand, musste Telenor reagieren. Begonnen hatte es damit, dass das Norwegische Fernsehen NRK Kinderarbeit und gefährliche Arbeitsbedingungen bei dieser Zulieferfirma gefilmt hatte und von Telenor wissen wollte, ob das bekannt sei. Telenor ersuchte daraufhin Grameenphone die Sache zu untersuchen. Grameenphone identifizierte das inkriminierte Unternehmen als «Gazi Engineering», ein Unternehmen, das keine Aufträge von Grameenphone, sondern von einem Zulieferer von Konstruktionsarbeiten erhalten hat.
    Wie Hilde Tonne, «Executive Vice President» von Telenor, dazu nur sagen konnte, zeigen solche Ereignisse ganz klar das Dilemma bei Geschäften mit Entwicklungsländern. Selbst wenn man systematisch daran arbeitet, die Bereiche Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zu entwickeln, bleibt das immer eine Herausforderung. Man habe sich in den letzten Monaten auf die Unternehmen konzentriert, mit denen man direkt Geschäfte macht. Natürlich werde man reagieren, wenn man von unakzeptablen Zuständen weiter unten in der Kette erfahre. Bisher habe man 160 der über 700 direkten Lieferanten überprüft.
    Gefährliche Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit sind in Bangladesch ein Hauptproblem, aber weder Grameenphone noch Telenor können die Verantwortung für alle sozialen Fehler in Bangladesch schultern. Man können nur seinen Anteil zur Verbesserung der Zustände bei den Zulieferern und langfristig in allen Gemeinschaften in denen man aktiv ist, leisten.

Muhammad Yunus greift ein
    Am 5. September - Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus kam zu Gesprächen nach Norwegen - wurde es dann bunt: Yunus drückte seine Erwartung aus, «dass Telenor seine schriftlichen Absichtserklärungen, die Gesetze von Bangladesch und die hohen ethischen Ansprüche erfüllt, welche die Menschen Norwegens erwarten».
    Er führte dann aus, dass Grameenphone von Grameen Telecom und Telenor 1996 zu dem Zweck gegründet worden sei, Telefondienste in den ländlichen Gegenden Bangladeschs einzuführen und dort lebenden armen Frauen die Gelegenheit zu geben, als «Telefondamen» erwerbstätig zu werden. Yunus meint dass die Partnerschaft mit Telenor (62 % der Anteile) zwar wirtschaftlich erfolgreich aber schwierig sei, denn in der Praxis leite Telenor das Gemeinschaftsunternehmen und sei von Anfang an für das Management verantwortlich.
    Zwar seien sowohl Telenor als auch Grameen Telecom bestrebt, das Wachstum und die Gewinne der Telefongesellschaft Grameenphone aufrechtzuerhalten und auszuweiten, aber, so Yunus, Telenors Anstrengungen zur Gewinnmaximierung für ihre Eigentümer geraten mit den sozialen und gemeinnützigen Zielsetzungen der Grameen Telecom in Konflikt.
    Zwischen Grameen und Telenor gebe es Unterschiede im Bezug auf Geschäftsethik und Unternehmensverantwortung. Er weist darauf hin, dass NRK Bilder von Kindern gebracht hat, die jünger als 14 Jahre waren und Teile von Mobilfunk-Basisstationen für Grameenphone ohne Schutzausrüstung mit Schweissgeräten bauten. «Grameen und ich können es nicht hinnehmen, damit in Verbindung gebracht zu werden.»
    Dann brachte Yunus eine bunte Aufstellung aller Verstösse und der damit verbundenen Strafen ins Gespräch. Er verwies darauf, dass das Geld für Geldstrafen in Höhe von 60 Millionen Dollar für mehr als zwei Millionen Kataraktoperationen oder den Schulbesuch von 500.000 Mädchen für ein Jahr gereicht hätte.
    Was Yunus natürlich auch schmerzt: Er wurde in den heimischen Medien persönlich angegriffen und es wurde ihm vorgeworfen, sich auf illegale Weise zu bereichern. «Wir können es nicht zulassen, dass der Name Grameen direkt oder indirekt durch unzulässige Tätigkeiten in Zweifel gezogen wird.»

Telenor soll auf Grameenphone verzichten
    Und dann kam er zum wohl eigentlichen Wunsch: «Damals im Jahr 1996 vereinbarten wir mit Telenor, dass das Gemeinschaftsunternehmen innerhalb von sechs Jahren in ein lokal betriebenes Unternehmen mit bangladeschischem Management in bangladeschischem Mehrheitsbesitz umgewandelt werden sollte. Dies ist nicht geschehen. Telenor weigert sich, die Kontrolle über das Unternehmen aufzugeben. Uns wird nun gesagt, dass die Worte des schriftlichen Vertrages im rechtlichen Sinne keine bindenden Aussagen sind. Wir haben uns auf den Wortlaut des Vertrages verlassen ... Die aktuellen Vorkommnisse in Bangladesch lassen mir ausser der Möglichkeit, rechtliche Schritte in Betracht zu ziehen, wenige Alternativen, um die Interessen von Millionen armer Menschen in Bangladesch zu schützen, die hinter Grameen stehen und denen ein Übergang des Unternehmens in bangladeschischen Besitz und ein Wandel zu einem Unternehmen mit sozialen Zielsetzungen unter bangladeschischem Management letzen Endes zugute kommt». Er hoffe aber, dass sich solche rechtlichen Schritte als unnötig erweisen, weil die Eigentümer von Telenor (das norwegische Volk), das Unternehmen dazu bringen werden, dass es für seine im Jahr 1996 geäusserten Absichten einsteht und den Armen Bangladeschs den Besitz und die Kontrolle über Grameen Phone übergibt.

Schock bei Telenor
    Telenor reagierte auf die Vorwürfe Yunus' gemessen, aber offensichtlich geschockt, lud aber Professor Yunus ein, aktiv an der laufenden Initiative teilzunehmen, denn er sei eine Person von hohem Einfluss in Bangladesch. Kinderarbeit sei ein weit verbreitetes Problem in Bangladesch, wo nach Angaben der UNICEF ca. 13 Millionen Kinderarbeiter beschäftigt werden. Dafür hat die Regierung gerade 13 Inspektoren, die 14.000 Fabriken in Bangladesch kontrollieren sollen.
    Jon Fredik Baksaas meinte dann, dass wir alle die Verantwortung haben, uns um das Problem Kinderarbeit und gefährliche Arbeitsbedingungen in Bangladesch zu kümmern. Sei es die lokale Regierung, Telenor oder Muhammad Yunus. Niemand könne sich von dieser Verantwortung ausschliessen.
    Auf die Erklärung von Yunus, dass man eine Vereinbarung über den Verkauf des Telenor-Anteils habe, reagierte Telenor mit einem kurzen Dementi: Man sei nicht der Meinung eine solche Vereinbarung zu haben. Im übrigen habe man für solche Streitigkeiten die Zuständigkeit schwedischer Gerichte vereinbart.

Links:
http://www.dnv.com/
http://www.grameenamerica.com/
http://www.grameenphone.com/
http://www.nrk.no/
http://www.telenor.com/
http://www.thedailystar.net/

    Ein Frage, die sich dem Beobachter stellt, ist natürlich, ob Telenor tatsächlich eine Abgabe von Grameenphone vorgehabt hat. In unserer auf Geld und Wertanlagen beruhenden Gesellschaft scheint das eher unwahrscheinlich, denn sonst hätte sich Telenor wohl das Netz in Bangladesch von der norwegischen Entwicklungshilfe finanzieren lassen.
    Eine weitere Frage wäre, ob sich an den Arbeitsbedingungen in Bangladesch irgend etwas ändern würde. Zu befürchten ist, dass das nicht der Fall ist. Allerdings werden wohl kaum mehr westliche Medien über solche Fälle berichten, weil ja keine westlichen Unternehmen, wenn auch nur indirekt, daran beteiligt sind. Es ist interessiert ja auch kaum jemand, unter welchen Bedingungen «preiswerte» Sportartikel und Bekleidung in Entwicklungsländern hergestellt werden und schliesslich wollen wir ja alle unsere Handys annähernd geschenkt erhalten...




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